Fürchtet euch! nicht

Die Plots seiner Filme sind oft Zumutungen, scheren sich nicht um Realismus oder gängige Erzählweisen. Seine neueste Zumutung ist jetzt im Streaming zu sehen: „Knock At The Cabin“ von M. Night Shyamalan.

„Was wäre wenn?“ könnte die ziemlich müßige Frage sein, die ein Film wie dieser stellt. Ist sie aber nicht.
Das erste, was man wahrnimmt, wenn der Film beginnt, ist zu klein, um es zu sehen. Es ist aber jetzt und mehrfach während des Films fast ohrenbetäubend laut zu hören: Grashüpfer auf einer Waldlichtung. Sehr bald jedoch sieht man zwei Hände, die einen dieser unzähligen Grashüpfer vom Halm streifen, ihn in ein Einmachglas mit weiteren Grashüpfern verfrachten und den Deckel darauf schrauben, der Luftlöcher enthält. Ein süßes kleines Mädchen spricht mit den Grashüpfern, die es gefangen hat und erklärt ihnen, dass sie keine Angst haben müssten, sie wolle sie nur eine Weile beobachten, und jeder solle sich benehmen, weil er nicht allein im Glas sei. Sein Gesicht ist riesenhaft hinter den kleinen Grashüpfern zu sehen, denen es in seiner Beobachtungskladde sogar Namen gegeben hat. Der Fremde, der gleich in der Szene auftauchen und die Geschichte in Gang bringen wird, ist zuerst auch nur ganz klein zu sehen, genau so klein wie die Grashüpfer im Glas. Und noch ein wenig später wird man die Urlauberhütte, die hier auf der Lichtung steht, gemeinsam mit dem Einmachglas sehen, beide gleich groß im Bild, und bewohnt von mutmaßlich gleich vielen „Grashüpfern“. Das Mädchen, auch das ist auffällig, hat eine sehr gut und teuer korrigierte und bis auf eine kleine Narbe nicht mehr zu sehende Kieferspalte, eine „Hasenscharte“.

Der Plot ist so provozierend simpel, die Herausforderung für die Protagonisten so grotesk – das kann doch nicht sein/unser Ernst sein!
Der komplette Film bezieht sich, auch wenn das manche Zuschauer verwundern mag, auf das gerade Beschriebene. Was sich in der Hütte abspielt, könnte durchaus der Allmachts-Fantasie eines mit Grashüpfern spielenden Kindes entsprungen sein: Die Welt wird untergehen, wenn nicht dieses Mädchen und ihre beiden Väter einen von sich opfern. Das behaupten die vier Besucher*innen, die mit Gewalt eindringen und ihrer absurden Forderung nach und nach sehr eindrücklich und choreografiert wie unsichere Priester/Messdiener-Anfänger*innen Glaubwürdigkeit zu verleihen suchen. Dem Weltende seien einzelne, bereits gewaltige Katastrophen vorgeschaltet, die zu genau bestimmten Zeitpunkten in unmittelbarer Zukunft hereinbrächen. Und so, wie sie es ankündigen, geschieht es auch tatsächlich, wie in den Fernsehnachrichten zu sehen. Dass sie wie verblendete Wahnsinnige wirken, ist den Vieren durchaus klar, aber es müsse nun mal sein, um die Apokalypse abzuwenden, alles sei ihnen in identischen Visionen vorgeführt worden, die sich nun unübersehbar bewahrheiten. Gott hat seine Finger im Spiel, das („Ihr seht euch wohl als die vier apokalyptischen Reiter!“) wird eher nebenbei klar, doch warum das alles geschehen muss, das hat der Herrgott im Script seiner Visionen-Vorführung wohl aufzuschreiben vergessen.

Er zeigt/decouvriert das religiöse Weltbild. Ganz im Ernst.
Damit ist der Plot schon durch, so wie angekündigt, läuft alles ab, und das ist das einzig Überraschende daran – dass es, inklusive der Rettung durch das gewünschte Opfer, tatsächlich genau so geschieht. Deshalb kann, und weil Shyamalan in seinen Filmen seine Figuren nie lächerlich macht, sollte man auf die symbolische Ebene blicken, auf die aufgeladenen Bilder, mit denen erzählt wird, worum es hier eigentlich geht. Siebenmal klopft der Anführer an, bevor sie schließlich gewaltsam eindringen. Sobald die Tür der Hütte geöffnet wird und die Kamera auf die Öffnung zufährt, strömt das Zirpen abertausender Grashüpfer herein, unüberhörbar. Das sind wir, oder? Die Sieben in der Hütte, die (zur Produktionszeit) sieben Milliarden auf dem Planeten, das sind wir – Grashüpfer, oder? Das Einmachglas, das ist unsere Welt, in die uns das traumatisierte Kind geworfen hat, oder? Eine unbehandelte Kieferspalte ist nicht nur eine ernste gesundheitliche Bürde, sondern gilt manchen Gläubigen/Abergläubischen noch heute als Fluch, als Strafe Gottes – sie muss mit großem Aufwand und menschlicher Kunst schmerzhaft korrigiert werden und dieses Mädchen hat all jene Prozeduren durchgemacht. Seine Adoptiv-Väter haben die Korrektur dieser angeborenen Bürde ermöglicht und, wie uns gezeigt wird, selbst viele Prozeduren der Homophobie durchgemacht, von elterlicher Ablehnung bis zu lebensbedrohlicher Gewalt, und tragen eigene Narben. Die drei sind Überlebende dieser Welt, keine Missetäter. Sie haben einander gerettet, nicht versehrt.

Torture porn im Einmachglas: He’s got the whole world in his hands
Die Absurdität des Arrangements provoziert ebenso wie die Sturheit, mit der es durchgezogen wird. Die Nähe zum „torture porn“ wird ganz bewusst eingegangen, aber ebenso bewusst unterlaufen und gebrochen. Der sadistische Kidnapper sitzt hier nicht im Nebenraum vor seinen Monitoren. Am Ende blicken wir wieder durch ein Glas, diesmal auf das Mädchen und ihren verbliebenen Daddy im Auto. Die Apokalypse ist, das war mal wieder knapp, nach vernachlässigbaren zig Millionen Katastrophenopfern durch das eine, das verlangte Opfer abgewendet und in der Windschutzscheibe spiegelt sich der Himmel mit den Wolken, die darüberziehen. Wer kann da NICHT an das Verhältnis denken, in das wir Menschen uns gegenüber dem „Schöpfer“, dem „Allmächtigen“ setzen? Der Film präsentiert uns das Weltbild des Glaubens in klarer, grotesker Konsequenz, und er hat dieses Bild ganz zu Beginn schon unübersehbar installiert: Wir sind nichts als Grashüpfer, ausgeliefert den Launen und Regeln eines verletzten Kindes, das mit uns anstellt, was immer es will, und das wir sogar, das Stockholm-Syndrom lässt grüßen, anbeten als Inbegriff allumfassender Liebe, dem wir schmerzhafteste Opfer bringen, wenn es das verlangt. Knock At The Cabin, wohlgemerkt aus den häufig christlich-fundamentalistischen USA, stellt daher diese Frage: Wollen wir uns ganz im Ernst so sehen? Shyamalan ist zu sehr Künstler, um diese Frage in eine satirisch-grelle Farce zu kleiden. Gerade weil er die Absurdität so ernsthaft und konzentriert durchexerziert, entzieht er sich erwartbaren Angriffen und provoziert dennoch die Frage. Ausweichen kann man ihr daher kaum.

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