Demokraten sind nur die mit Auto

Klimakleber, also Leute, die Autos am Fahren hindern, sind eine Gefahr. Sie nehmen uns unsere Freiheit. Darüber sind sich die deutschen Autofreaks schon lange einig. Und jetzt haben sich die Weltverbesserer (schlimm, die Welt verbessern zu wollen …), logo, auch als Demokratiefeinde geoutet: keine gewählten Parlamente mehr! (stattdessen ausgeloste Abgeordnete). Wir haben es ja schon immer gewusst!

Wer ist Demokrat*in? Wer unsere bequemen Gewohnheiten stört, auch wenn sie noch so schädlich für unsere Gemeinschaft und die Zukunft unserer Kinder sind, kann es schon mal nicht sein. Geloste statt gewählte Abgeordnete, tja, diese Idee ist aber so alt wie die Demokratie selbst, sie ist sogar mit ihrer Entstehung untrennbar verbunden. Denn das Athener Parlament der Antike, die Wiege des demokratischen Systems, bestand aus gelosten Vertretern, nicht aus gewählten.

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My name is Covid

Endlich! Eine (super durchgeknallte) Komödie über die Corona-Pandemie!

Es passiert nicht oft, dass man eine neue Serie sieht und eine bekannte – und ziemlich deutliche – Handschrift zu entdecken glaubt. Bei „Sprung“ drängt sich sehr bald der Vergleich mit „My Name Is Earl“ auf, und der Eindruck täuscht nicht. Die Serie stammt aus der Feder desselben Masterminds: Gregory Thomas Garcia. Und wieder einmal beweist er, dass er eine Vorliebe und ein echtes, hochkomödiantisches Talent für die Schrullen der US-amerikanischen Unterschicht hat. In „Sprung“ allerdings verankert er die Handlung und die zunächst bemitleidenswerten Protagonisten in einer historisch genau festgelegten Epoche: den ersten Monaten der Corona-Pandemie in den USA.

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ATHENA – Adieu, Mann!

Romain Gavras, Regisseur des spektakulären Netflix-Dramas „Athéna“, hatte die klassische griechische Tragödie im Kopf, als er den Film entwarf. Als er ihn filmte, waren es Vorbilder wie „Children of Men“, „The Revenant“ und „1917“. Eine Empfehlung.

Selten, vielleicht noch nie zuvor hat man so etwas in einem Film gesehen. Nicht in dieser Menge, in dieser Frequenz und mit diesem Aufwand. Plansequenz reiht sich an Plansequenz in diesem Spielfilm über einen eskalierenden Aufstand in einer Siedlung der Pariser Vorstädte, atemberaubende Fahrten verwandeln sich übergangslos in intensive, ja intime Großaufnahmen der Protagonisten in ihren Zimmern oder Kellern, nur um gleich zu Panoramen aus der Vogelperspektive über der qualmenden Wohnanlage zu werden, auf deren zentralem Platz es zugeht wie im Weltkrieg. Die Bildsprache zitiert sehr bewusst neuere Filme über gescheiterte Ordnungen, über Krieg, über Männer. Dahinter steckt eine unvorstellbar aufwändige Vorbereitungsarbeit, modernste Kameratechnik und ohne Zweifel auch CGI, die man jedoch nicht bemerkt. Hunderte von Kompars*innen, zwei gegnerische Blöcke (junge Männer der Banlieu und die Polizei) und dazwischen die friedlichen Bewohner*innen der Wohnblöcke – Familien, Kinder. Doch die tauchen nur am Rande auf und fliehen, so gut sie können. Um was es hier eigentlich geht, sind die Männer, die nicht mehr weiter wissen.

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Was ist mit ihnen? – „In Therapie“ II auf arte

Natürlich ist diese TV-Serie eine Art „Werbung“ für die Psychoanalyse, um genau zu sein, die Psychoanalyse nach Lacan, und natürlich macht die Dramatisierung von Psychoanalyse immer krasse Fehler. Doch „In Therapie“ macht die richtigen.

Psychoanalyse und/oder Analytiker werden in Film und Fernsehen meistens lächerlich gemacht, etwas seltener in grotesken Thrillerplots verheizt oder als niedliche bis kitschige Nebenhandlung eingesetzt. Das liegt allerdings nicht nur daran, dass die betreffenden Künstler*innen kein Interesse an einer adäquaten Darstellung haben, sondern auch daran, dass eine Psychoanalyse eigentlich nicht darstellbar ist, ohne das Publikum zu vergraulen. Dass mittlerweile aber eine ganze Reihe von TV-Serien sich genau dieser Aufgabe gewidmet hat – angefangen mit dem israelischen Original über das US-amerikanische Remake bis zum französischen Ableger, der jetzt in zweiter Staffel bei arte gezeigt wird – ist daher wirklich erstaunlich. Dabei gelingt den Serien Beachtliches, und zwar gerade weil sie manche Dinge sehr falsch darstellen und manche sehr richtig. Falsch daran ist vor allem, dass viel zu viel geredet wird. Besser gesagt, die Worte, die fallen, tun dies in viel zu kurzer Zeit. Endlose und endlos erscheinende Momente einer echten Analyse bestehen aus oft qualvollem Schweigen, das auch der/die Analytiker*in meist nicht aufhebt, sondern zulässt, zulassen muss, manchmal eine gesamte Sitzung lang. Das kann man in realistischer Darstellung keinem Publikum zumuten. Die Sitzungen, die wir da sehen, erscheinen dagegen als wortreiche Dialoge zwischen Analytiker*in und Patient*in, streng genommen ein Verstoß gegen die Regeln der Analyse. Was zwangsläufig zum zweiten Fehler führt, der Darstellung des/der Analytiker*in und seiner/ihrer Rolle in der Analyse. Die besteht nicht darin, die Patienten „zu analysieren“ und zu erklären, was mit ihnen los ist, auch nicht darin, sich in eine Diskussion verwickeln zu lassen – beides, vor allem das erste, geschieht öfters in der arte-Serie, wenn auch viel feinfühliger als in jeder anderen Produktion. Es ist der Preis der „Dramatisierung“, also der Notwendigkeiten einer TV-Dramaturgie. Den entrichten die Macher aber, weil sie andererseits das Eigentliche, den Kern der Analyse bewahren und mit der Serie etwas Einzigartiges und einzigartig Wahrhaftiges vermitteln können. Und das ist, mit einem Wort, Würde.

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1941 – Ein verzweifelter Clown von einem Film

Übermorgen startet Steven Spielbergs Neuverfilmung von „West Side Story“ in den Kinos. Wer sich darüber wundert, dass Spielberg einen Tanzfilm macht, hat „1941“ noch nicht gesehen. Darin gibt es eine der großartigsten Tanz-Massenszenen überhaupt. Doch der Film hat eine noch viel größere Bedeutung.

Heute jährt sich der japanische Angriff auf die US-Marinebasis Pearl Harbour, und zufällig gehen mir seit Tagen einige Gedanken zu Steven Spielberg durch den Kopf, der einen (vielleicht DEN) Pearl-Harbour-Film gemacht hat. Nur wenige allerdings kennen diesen Film, denn er gehört zu Spielbergs wenigen Flops, gilt gar als wirtschaftliches Desaster. Das hat Gründe, die sicher nicht in der erzählerischen und technischen Ebene oder gar beim Schauwert liegen, denn bei den beiden ersten liegt er vollkommen auf dem Niveau früherer und auch späterer Spielberg-Filme und beim dritten übertrifft er eigentlich alles, was bis dahin auf einer Kinoleinwand zu sehen gewesen war: Er ist atemberaubend spektakulär. Warum ist er dermaßen baden gegangen?

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Klimakrise: Diese Sache mit dem Boot

Die Nachrichten über katastrophale klimagebundene Ereignisse häufen sich unübersehbar – und alles andere als überraschend. Dass es immer noch Menschen gibt, die den „Klimawandel“ und/oder unsere Verantworlichkeit dafür leugnen: geschenkt. Längst hat sich das Bewusstsein dieser bevorstehenden epochalen Veränderungen aus dem ganzen Nebel, der eifrig von Lobbyisten und Ignoranten geworfen wurde, erhoben und ist zumindest präsent, sichtbar, deutlich sichtbar. Aber noch immer nicht bestimmend für unser Handeln und Leben, so wie es eigentlich sein müsste. Das scheint verrückt. Denn wir sitzen, wie man so sagt, alle in einem Boot. Und dieses Boot fährt geradewegs auf einen Wasserfall zu. Wenn wir uns nur ein bisschen strecken, können wir ihn schon sehen.

Bleiben wir mal bei diesem Bild. Die uns umgebende Welt, unser Boot. Wir sind in ihm gewachsen, haben darin Zivilisationen und Technologien entwickelt und haben es dabei immer stärker verändert – zu unserem Nutzen, unserer Bequemlichkeit, unserer weiteren Entwicklung. Und haben dabei aus den Augen verloren, dass wir unser Boot schon eine ganze Weile aus komfortablen Gewässern in Richtung ausgedehnter und sehr unangenehmer Stromschnellen gelenkt haben. Diese wiederum sind ein Bild für das, was erst jüngst wieder der IPCC sehr eindringlich in seinem neuesten Welt-Klimabericht als das aktuelle und zukünftige Szenario beschrieben hat. Nun, die Stromschnellen sind jetzt ziemlich nah, und wir haben das Steuer für unser Boot – noch – einigermaßen unter Kontrolle. Also umsteuern, ausweichen, einen ungefährlicheren Kurs einschlagen, gemeinsam und wenn nötig (und das ist es) mit aller Kraft, oder?

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Wirklichkeit im Gesicht

Adam Kinzinger kommt aus der Tea-Party-Bewegung. Das sind die, die in den USA das Prinzip der Realität gegen das der alternativen Fakten ausgetauscht und nicht nur in der Republikanischen Partei durchgesetzt haben. Die, die den Boden für Donald Trump bereitet haben, auch wenn er nie zur Bewegung gehört hat. Trump hat geerntet, was sie einst säten. Und Trump kultiviert – wenn man diesen Begriff bitte wirklich nur landwirtschaftlich versteht – die Früchte trotz Wahlniederlage weiter und bringt sie massenhaft unter die Leute. Er beherrscht die Republikanische Partei wie ein Khan, hinter sich Berge von politischen (und tatsächlichen) Leichen, um sich herum hörige Vasallen: Speichellecker wie einst sein Vize Mike Pence, Strippenzieher wie Rudi Giuliani und Bluthunde wie Jim Jordan.

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Überleben. Buchstäblich.

Einige krasse Gedanken, die ich mir bis vor einem Jahr nie hätte vorstellen können, tatsächlich zu denken

Als die Pandemie in Deutschland die ersten allgemeinen Konsequenzen hatte, staunte ich über Anblicke, Erlebnisse und Maßnahmen, die ich noch nie selbst gesehen und erlebt hatte, wahrscheinlich wie die meisten Menschen hier. Es war nicht einfach, ging nicht automatisch, die Dimension zu erkennen, oder überhaupt damit zu beginnen, die Dimension zu erkennen, dessen, was sich da gerade auszubreiten begann. Und die unsichere Frage im Kopf: Ist das alles nicht etwas übertrieben? Damit meine ich nicht (nur) die Infektionslage, sondern alle Konsequenzen, die sich aus ihr ergaben, ob zwangsläufig oder durch Entscheidungen und Handlungen herbeigeführt. Beides entwickelt sich ja seither stetig weiter, täglich verändert sich die Lage, die Stimmung, das Befinden, der Ausblick.

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