ATHENA – Adieu, Mann!

Romain Gavras, Regisseur des spektakulären Netflix-Dramas „Athéna“, hatte die klassische griechische Tragödie im Kopf, als er den Film entwarf. Als er ihn filmte, waren es Vorbilder wie „Children of Men“, „The Revenant“ und „1917“. Eine Empfehlung.

Selten, vielleicht noch nie zuvor hat man so etwas in einem Film gesehen. Nicht in dieser Menge, in dieser Frequenz und mit diesem Aufwand. Plansequenz reiht sich an Plansequenz in diesem Spielfilm über einen eskalierenden Aufstand in einer Siedlung der Pariser Vorstädte, atemberaubende Fahrten verwandeln sich übergangslos in intensive, ja intime Großaufnahmen der Protagonisten in ihren Zimmern oder Kellern, nur um gleich zu Panoramen aus der Vogelperspektive über der qualmenden Wohnanlage zu werden, auf deren zentralem Platz es zugeht wie im Weltkrieg. Die Bildsprache zitiert sehr bewusst neuere Filme über gescheiterte Ordnungen, über Krieg, über Männer. Dahinter steckt eine unvorstellbar aufwändige Vorbereitungsarbeit, modernste Kameratechnik und ohne Zweifel auch CGI, die man jedoch nicht bemerkt. Hunderte von Kompars*innen, zwei gegnerische Blöcke (junge Männer der Banlieu und die Polizei) und dazwischen die friedlichen Bewohner*innen der Wohnblöcke – Familien, Kinder. Doch die tauchen nur am Rande auf und fliehen, so gut sie können. Um was es hier eigentlich geht, sind die Männer, die nicht mehr weiter wissen.

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Was Mörder macht

Sowjetrussischer Serienmörder und Islamischer Staat, Anders Breivik und Hitlers willige Vollstrecker – Citizen X und Das Lachen der Täter DSCF2881 Der wohl schmerzhafteste Moment dieses Films ereignet sich, als er beinahe zu Ende ist. Es ist zugleich sein schönster und erschreckendster Moment. Und vermutlich einer der erhellendsten in der Filmgeschichte, wenn es um die Kräfte geht, die aus Menschen Mörder machen oder eben nicht.

In dem US-amerikanischen TV-Spielfilm „Citizen X“ von 1995 geht es um den authentischen Fall des Serienmörders Chikatilo, der von den siebziger bis neunziger Jahren in der damals sowjetrussischen Stadt Rostow über fünfzig Minderjährige bestialisch missbraucht und ermordet hat. Nach quälend langwierigen und erfolglosen Ermittlungen des mit der Tätersuche betrauten Gerichtsmediziners, die erst vorangekommen sind, nachdem Gorbatschows Perestroika die kommunistischen Seilschaften der Stadt und des Oblast größtenteils weggefegt hat, sitzt der Täter in der Verhörzelle und will weder reden noch gestehen. Was die Zuschauer des Films bis zu diesem Punkt miterleben mussten, ließ ihnen mehr als einmal die Haare zu Berge stehen. Nicht nur, weil sie Zeuge mehrerer dieser Morde wurden, sondern auch Zeuge der Halsstarrigkeit, mit der die Parteifunktionäre die Ermittlungen über mehr als zehn Jahre hinweg knebeln, instrumentalisieren, beeinflussen, ja verhindern, nur damit nicht publik wird, dass es in der Sowjetunion, genau wie im „dekadenten Westen“, Serienmörder gibt. Nicht wenige Kinder verloren auch deshalb ihr Leben, der Ermittler erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche, ein leichtfertig Verhafteter erhängte sich in seiner Zelle. Kurz vor Schluss nun ist der mutmaßliche Täter gefasst und soll gestehen, weil man ihm die Verbrechen nicht nachweisen kann. Doch er schweigt oder weicht dem hilflosen Druck des Parteikommissars aus, indem er über Banalitäten redet. Weiterlesen