Fürchtet euch! nicht

Die Plots seiner Filme sind oft Zumutungen, scheren sich nicht um Realismus oder gängige Erzählweisen. Seine neueste Zumutung ist jetzt im Streaming zu sehen: „Knock At The Cabin“ von M. Night Shyamalan.

„Was wäre wenn?“ könnte die ziemlich müßige Frage sein, die ein Film wie dieser stellt. Ist sie aber nicht.
Das erste, was man wahrnimmt, wenn der Film beginnt, ist zu klein, um es zu sehen. Es ist aber jetzt und mehrfach während des Films fast ohrenbetäubend laut zu hören: Grashüpfer auf einer Waldlichtung. Sehr bald jedoch sieht man zwei Hände, die einen dieser unzähligen Grashüpfer vom Halm streifen, ihn in ein Einmachglas mit weiteren Grashüpfern verfrachten und den Deckel darauf schrauben, der Luftlöcher enthält. Ein süßes kleines Mädchen spricht mit den Grashüpfern, die es gefangen hat und erklärt ihnen, dass sie keine Angst haben müssten, sie wolle sie nur eine Weile beobachten, und jeder solle sich benehmen, weil er nicht allein im Glas sei. Sein Gesicht ist riesenhaft hinter den kleinen Grashüpfern zu sehen, denen es in seiner Beobachtungskladde sogar Namen gegeben hat. Der Fremde, der gleich in der Szene auftauchen und die Geschichte in Gang bringen wird, ist zuerst auch nur ganz klein zu sehen, genau so klein wie die Grashüpfer im Glas. Und noch ein wenig später wird man die Urlauberhütte, die hier auf der Lichtung steht, gemeinsam mit dem Einmachglas sehen, beide gleich groß im Bild, und bewohnt von mutmaßlich gleich vielen „Grashüpfern“. Das Mädchen, auch das ist auffällig, hat eine sehr gut und teuer korrigierte und bis auf eine kleine Narbe nicht mehr zu sehende Kieferspalte, eine „Hasenscharte“.

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Demokraten sind nur die mit Auto

Klimakleber, also Leute, die Autos am Fahren hindern, sind eine Gefahr. Sie nehmen uns unsere Freiheit. Darüber sind sich die deutschen Autofreaks schon lange einig. Und jetzt haben sich die Weltverbesserer (schlimm, die Welt verbessern zu wollen …), logo, auch als Demokratiefeinde geoutet: keine gewählten Parlamente mehr! (stattdessen ausgeloste Abgeordnete). Wir haben es ja schon immer gewusst!

Wer ist Demokrat*in? Wer unsere bequemen Gewohnheiten stört, auch wenn sie noch so schädlich für unsere Gemeinschaft und die Zukunft unserer Kinder sind, kann es schon mal nicht sein. Geloste statt gewählte Abgeordnete, tja, diese Idee ist aber so alt wie die Demokratie selbst, sie ist sogar mit ihrer Entstehung untrennbar verbunden. Denn das Athener Parlament der Antike, die Wiege des demokratischen Systems, bestand aus gelosten Vertretern, nicht aus gewählten.

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My name is Covid

Endlich! Eine (super durchgeknallte) Komödie über die Corona-Pandemie!

Es passiert nicht oft, dass man eine neue Serie sieht und eine bekannte – und ziemlich deutliche – Handschrift zu entdecken glaubt. Bei „Sprung“ drängt sich sehr bald der Vergleich mit „My Name Is Earl“ auf, und der Eindruck täuscht nicht. Die Serie stammt aus der Feder desselben Masterminds: Gregory Thomas Garcia. Und wieder einmal beweist er, dass er eine Vorliebe und ein echtes, hochkomödiantisches Talent für die Schrullen der US-amerikanischen Unterschicht hat. In „Sprung“ allerdings verankert er die Handlung und die zunächst bemitleidenswerten Protagonisten in einer historisch genau festgelegten Epoche: den ersten Monaten der Corona-Pandemie in den USA.

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Schau doch, da ist nichts.

Eine Einladung zur Salonage „Männerart – alte und neue Männerbilder“ von Isobel Markus am 18. November dieses Jahres in der Lettrétage/Studio acud gab den Anstoß, meinen Essay „Mein Werwolf“ auch in voller Länge und in Buchform dorthin mitzubringen. Ohne lange Planung und in kurzer Frist veröffentlichen heißt: selbst veröffentlichen. Das Booklet erscheint heute im Handel.

Über seinen langjährigen geheimen Begleiter und die Ursachen und Umstände von dessen Existenz wollte der Autor Michael Wäser schon oft schreiben. Doch erst nach der Fertigstellung seines dunklen „Heimat-Romans“ Das Wunder von Runxendorf schienen alle Teile am rechten Platz. „Mein Werwolf“ ist ein sehr persönlicher und zugleich ins Historische ausgreifender Essay.

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ATHENA – Adieu, Mann!

Romain Gavras, Regisseur des spektakulären Netflix-Dramas „Athéna“, hatte die klassische griechische Tragödie im Kopf, als er den Film entwarf. Als er ihn filmte, waren es Vorbilder wie „Children of Men“, „The Revenant“ und „1917“. Eine Empfehlung.

Selten, vielleicht noch nie zuvor hat man so etwas in einem Film gesehen. Nicht in dieser Menge, in dieser Frequenz und mit diesem Aufwand. Plansequenz reiht sich an Plansequenz in diesem Spielfilm über einen eskalierenden Aufstand in einer Siedlung der Pariser Vorstädte, atemberaubende Fahrten verwandeln sich übergangslos in intensive, ja intime Großaufnahmen der Protagonisten in ihren Zimmern oder Kellern, nur um gleich zu Panoramen aus der Vogelperspektive über der qualmenden Wohnanlage zu werden, auf deren zentralem Platz es zugeht wie im Weltkrieg. Die Bildsprache zitiert sehr bewusst neuere Filme über gescheiterte Ordnungen, über Krieg, über Männer. Dahinter steckt eine unvorstellbar aufwändige Vorbereitungsarbeit, modernste Kameratechnik und ohne Zweifel auch CGI, die man jedoch nicht bemerkt. Hunderte von Kompars*innen, zwei gegnerische Blöcke (junge Männer der Banlieu und die Polizei) und dazwischen die friedlichen Bewohner*innen der Wohnblöcke – Familien, Kinder. Doch die tauchen nur am Rande auf und fliehen, so gut sie können. Um was es hier eigentlich geht, sind die Männer, die nicht mehr weiter wissen.

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The Shining – revisited

Als im Herbst 1980 aus den deutschen Radios eine Stimme verkündete: „Die Woge des Schreckens, die Amerika überflutete, ist auch bei uns angekommen!“, zog es uns ins Kino, damit wir den Sensationsfilm selbst erleben konnten. Shining war meine erste Begegnung mit Stephen King und mit dem Kino von Stanley Kubrick. Ich war gerade 16 geworden, als ich in Erwartung großen Horrors im Klappsitz Platz nahm. Doch der Horror stellte sich nicht ein, der Film ließ mich merkwürdig kalt. Andere Besucher zitterten noch, als sie längst wieder auf dem Heimweg waren. Ich verstand nicht, was sie so erschüttert hatte. Vielleicht verstehe ich es heute noch nicht, doch warum mich die Woge des Schreckens damals nicht überflutete, das weiß ich jetzt. Denn ich habe mir den Film nun noch einmal angesehen.

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Raum, den wir haben

„In Zeiten der Finsternis“, Konzert und Lesung bei „Kunst & Diskurs“ am 31. Juli 2022 in Lübars

Taras Schewtschenko, Kateryna Olia; 1842

Am Sonntag Nachmittag kam der Krieg ins idyllische Lübars. Aber nein. Er war ja schon längst da. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist er allgegenwärtig, in den Medien, in den Häusern, in den Köpfen. Gestern übernahmen wir nur ein wenig mehr die Initiative, indem wir uns die „Zeiten der Finsternis“ etwas genauer anschauten, genauer – und allgemeiner zugleich. Denn vom Ukrainekrieg dieser Tage wussten weder die Komponisten der Klavierstücke, die zu hören waren, noch ich, als ich vor rund zehn Jahren „Salvatore“ schrieb. Den Krieg aber kannten wir alle, die sich um den Konzertflügel versammelt hatten, natürlich auf die eine oder andere Weise, wohl nicht als Teilnehmende, aber als Betroffene, wie auch immer. Die Reihe „Kunst und Diskurs“ von Annette Weweler belässt es dankenswerterweise nicht beim „Kunstgenuss“, sondern lädt anschließend zur Diskussion. Natalia Nikolaeva, die eine erstaunliche Auswahl von Klavierstücken präsentierte – und ebenso erstaunlich spielte – und ich mit den fünf „Soldatenkapiteln“ aus dem Salvatore-Roman mussten uns nach der Konzert-Lesung erst mal sammeln und Luft schöpfen, aber die Zuhörenden waren, wie wir dann bemerkten, kaum weniger mitgenommen. Das Thema, der Blick in finstere Abgründe, die jeder Krieg mit sich bringt, hatte alle angefasst, die zur Diskussion geblieben waren.

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Von Schwarzkopf

Mein Beitrag zum 13. Jubiläum der Lesebühne „So noch nie“ als einer von 13 Themenbeauftragten zum Thema „öfter und länger kommen“

“Ich sollte öfter und länger kommen”, dachte er und musste grinsen. “Das klang jetzt anders, als es gemeint war”, dachte er und nahm das Regal mit Haarpflegeprodukten wahr, das sich vor ihm zwei Meter in die Höhe und jeweils drei bis vier Meter zu jeder Seite aufbaute. Wie war er hierher gekommen? Typisch Feierabendmüdigkeit. “Nicht öfter”, dachte er, “aber ab und zu mal länger bleiben. Zeit nehmen. Nicht nur reinhetzen, zugreifen, zahlen und raus. “Sonst hätte ich das bestimmt gar nicht gesehen.” Er hielt eine kleine Schachtel in der Hand. “Schauma festes Shampoo.” Zwischen den vier oder fünf festen Öko-Produkten, die ihrerseits zwischen den zahllosen flüssigen Markenshampoos, -spülungen und so weiter ein Schattendasein fristeten, war ihm der Name “Schauma” ins Auge gestochen.

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