Schau doch, da ist nichts.

Eine Einladung zur Salonage „Männerart – alte und neue Männerbilder“ von Isobel Markus am 18. November dieses Jahres in der Lettrétage/Studio acud gab den Anstoß, meinen Essay „Mein Werwolf“ auch in voller Länge und in Buchform dorthin mitzubringen. Ohne lange Planung und in kurzer Frist veröffentlichen heißt: selbst veröffentlichen. Das Booklet erscheint heute im Handel.

Über seinen langjährigen geheimen Begleiter und die Ursachen und Umstände von dessen Existenz wollte der Autor Michael Wäser schon oft schreiben. Doch erst nach der Fertigstellung seines dunklen „Heimat-Romans“ Das Wunder von Runxendorf schienen alle Teile am rechten Platz. „Mein Werwolf“ ist ein sehr persönlicher und zugleich ins Historische ausgreifender Essay.

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Raum, den wir haben

„In Zeiten der Finsternis“, Konzert und Lesung bei „Kunst & Diskurs“ am 31. Juli 2022 in Lübars

Taras Schewtschenko, Kateryna Olia; 1842

Am Sonntag Nachmittag kam der Krieg ins idyllische Lübars. Aber nein. Er war ja schon längst da. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist er allgegenwärtig, in den Medien, in den Häusern, in den Köpfen. Gestern übernahmen wir nur ein wenig mehr die Initiative, indem wir uns die „Zeiten der Finsternis“ etwas genauer anschauten, genauer – und allgemeiner zugleich. Denn vom Ukrainekrieg dieser Tage wussten weder die Komponisten der Klavierstücke, die zu hören waren, noch ich, als ich vor rund zehn Jahren „Salvatore“ schrieb. Den Krieg aber kannten wir alle, die sich um den Konzertflügel versammelt hatten, natürlich auf die eine oder andere Weise, wohl nicht als Teilnehmende, aber als Betroffene, wie auch immer. Die Reihe „Kunst und Diskurs“ von Annette Weweler belässt es dankenswerterweise nicht beim „Kunstgenuss“, sondern lädt anschließend zur Diskussion. Natalia Nikolaeva, die eine erstaunliche Auswahl von Klavierstücken präsentierte – und ebenso erstaunlich spielte – und ich mit den fünf „Soldatenkapiteln“ aus dem Salvatore-Roman mussten uns nach der Konzert-Lesung erst mal sammeln und Luft schöpfen, aber die Zuhörenden waren, wie wir dann bemerkten, kaum weniger mitgenommen. Das Thema, der Blick in finstere Abgründe, die jeder Krieg mit sich bringt, hatte alle angefasst, die zur Diskussion geblieben waren.

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Mein Werwolf. Lesen einer Fährte

Ein Essay über Angst, Männer und die zerstörerische Kraft des Verschweigens (Auszug)

Dies ist ein recht langer Essay. Ich empfehle, möglichst die „Leseansicht“ Ihres Browsers zu verwenden.

Ein US-Straßenkreuzer fährt nachts eine Tankstelle an. Während sich das schaukelnde 70er-Jahre-Ungetüm der Zapfsäule nähert, wird auf dem Dach der Limousine kauernd eine Gestalt erkennbar. Es ist ein Wesen mit menschlichem Körper in einem Smoking, aber mit behaarten Füßen, Klauen und einem gänzlich behaarten Wolfsgesicht mit mörderischen Fangzähnen. Es wartet ab, bis die Fahrerin des Wagens aussteigt und stürzt sich dann, als sie es bemerkt und schreiend im Tankwarthäuschen Schutz suchen will, auf sie. Schnitt.

Der Film „Der Werwolf von Washington“ von 1973 wurde am 4. Mai 1977 im Deutschen Fernsehen im Spätprogramm gesendet und ist ein eher untypisches Beispiel für das kritische, politische, junge US-Kino der damaligen Epoche. Und er machte mir, dem es irgendwie passiert war, viel zu spät in genau dieser Mittwochnacht vor dem einzigen Fernsehgerät im Haus zu sitzen, ein unbeabsichtigtes Geschenk. Er schenkte mir die Angstfigur, die augenblicklich alle bisherigen aus meiner Psyche verjagte und für die nächsten fast dreißig Jahre die Herrschaft über meine Amygdala, mein neuronales Angstzentrum, übernahm und weit, sehr weit darüber hinaus.

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